Health workforce across European Countries
manifesto for a european health union

2,1 Millionen zusätzliche Gesundheitsfachkräfte in der EU notwendig

2,1 million additional health workforces needed in the EU

In allen Ländern der Europäischen Union besteht ein Fachkräftemangel im Gesundheits- und Sozialwesen. Basierend auf den Prognosen des Ageing Reports 2021 der Europäischen Kommission schätzt BASYS einen zusätzlichen Bedarf von mindestens 2,1 Millionen Personen bis zum Jahr 2030. Angesichts des stagnierenden bzw. rückläufigen Personalpotentials bedarf es gemeinsamer europäischer Anstrengungen. In all countries of the European Union there is a shortage of skilled workers in health services and social care. Based on the forecasts of the European Commission's Ageing Report 2021, BASYS estimates an additional demand of at least 2.1 million persons until 2030. In view of the stagnating or declining labour force potential, joint European efforts are needed.

Der demografische Wandel, geänderte sozioökonomische und gesetzliche Rahmenbedingungen sowie Fortschritte in Wissenschaft und Medizintechnik werden auf unterschiedlichen Ebenen zu strukturellen Änderungen in der Gesundheits- und Pflegeversorgung führen. Diese betreffen u. a. das Arbeitsumfeld, die Arbeitsteilung (Skillmix) und -organisation, die Arbeitsbedingungen, die Qualifikation sowie Produktivitäts- und Qualitätsziele.

Zusatzbedarf

Aufgrund der Systemunterschiede ist der Bedarf an Gesundheitsfachkräften in den Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) regional, nach Versorgungsbereichen und hinsichtlich einzelner Berufsgruppen unterschiedlich. Besonders groß sind die Unterschiede im Bereich der Langzeitpflege. Dennoch lässt sich feststellen, dass alle Länder zukünftig einen Mehrbedarf haben, der sich bis zum Jahr 2030 auf rund 2,1 Millionen Gesundheitsfachkräfte beläuft (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Zusätzlicher Fachkräftebedarf EU27, 2030

Im Bereich der medizinischen Versorgung besteht vor allem ein zusätzlicher Fachkräftebedarf bei den Ärzten. In Polen, Frankreich, Italien und Spanien werden in Zukunft allein rund 300 Tsd. zusätzliche Ärzte benötigt.

In Deutschland und den Niederlanden betrifft der Zusatzbedarf besonders den Bereich „Soziales“, welcher im Wesentlichen durch einen weiteren Nachfrageanstieg nach Pflegeleistungen entsteht. U. a. führen die sich verändernden Strukturen in der Arbeitswelt und in den Familien dazu, dass der Arbeitsmarkt für Pflegeberufe einer der dynamischsten ist.

Die Gründe für den zunehmenden Bedarf sind vielfältig. Als Folge der Zunahme chronischer Erkrankungen in einer alternden Gesellschaft wird die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen in den nächsten Jahren weiter steigen. Auch andere Faktoren wie die Systemunterschiede und Umsetzung des medizinisch-technischen Fortschritts lassen in den Ländern der EU ein unterschiedliches Wachstum der Leistungsnachfrage erwarten [1]. Für einkommensschwache Länder der EU besteht hierbei die Gefahr, dass es als Folge der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt und der großen Honorierungsunterschiede zur weiteren Abwanderung von Fachkräften kommt. Betroffen davon sind vor allem die Länder im Baltikum und in Südosteuropa sowie Portugal. Versorgungsungleichgewichte in der EU können damit noch zusätzlich verstärkt werden.

Auch der innovative Bereich der industriellen Gesundheitswirtschaft steht vor personellen Herausforderungen. Hier besteht eine Konkurrenz um qualifizierte Ingenieure, Chemiker und Informatiker mit anderen Wirtschaftszweigen. Ein Fachkräftemangel kann in diesem Bereich, der sich durch eine hohe Arbeitsproduktivität auszeichnet, zu einem starken Rückgang der Wertschöpfung führen.

Fehl- und Ersatzbedarf

Nicht eingerechnet in den oben genannten Zahlen sind die bereits bestehenden „Fehlbedarfe“ in den Berufen der medizinischen und pflegerischen Versorgung sowie die zukünftigen „Ersatzbedarfe“ durch ausscheidende Arbeitskräfte. Letztere sind für die EU27 auf ca. 5 Millionen Personen zu beziffern. Unter Berücksichtigung der oben genannten 2,1 Mio. ergibt sich somit ein Gesamtbedarf von mindestens 7,1 Mio. Fachkräften bis zum Jahr 2030.

Die meisten dieser Stellen können zwar durch die bestehenden und erweiterten Ausbildungsprogramme besetzt werden, doch gibt es regional durch die sehr unterschiedlich besetzten Alterskohorten erhebliche Ungleichgewichte [2]. Deutschland fällt beispielsweise durch einen sehr hohen Anteil von Ärzten über 55 Jahren auf. Noch höher ist dieser Anteil in Frankreich und Italien.

Globale Nachhaltigkeitsziele

Für die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage) bis zum Jahr 2030 ist die Verfügbarkeit von Gesundheitsfachkräften kritisch. Da ein Mangel an Gesundheitsfachberufen in allen Ländern Europas – zwar nicht immer in den gleichen Versorgungsbereichen – besteht, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen auf europäischer Ebene einen positiven Beitrag zur Bewältigung leisten können.

In diesem Zusammenhang müssen vor allem auch die Auswirkungen von Mobilität und Migration beachtet werden, um eine weitere Divergenz in der EU durch den „Brain drain“ aus den peripheren Regionen in die reichen Länder zu vermeiden.

Ansatzpunkte zur Bedarfsdeckung

Um die gesundheitliche Versorgung durch medizinische Fach- und Pflegefachkräfte zu sichern und den flächendeckenden Zugang zu Gesundheitsleistungen zu gewährleisten, sollten verschiedene Ansatzpunkte verfolgt werden.

Ein zentraler Ansatzpunkt sind verstärkte Anstrengungen in der Ausbildung. U. a. erfordern die Veränderungen in der Gesundheitsversorgung, die Anforderungen an die Patientensicherheit und die Prozesse der Digitalisierung, dass die Entwicklung und Anforderungen an die Berufsbildung in den Gesundheitsberufen systematisch beobachtet werden [3].

Ein weiter wesentlicher Punkt ist die Forcierung der Digitalisierung, die zur Steigerung der Produktivität beiträgt. Eng damit verbunden ist die Realisation von Verbund- und Größenvorteilen durch eine europäische Zusammenarbeit. Die Digitalisierungsprozesse in den Gesundheits-, Pflege- und Rehabilitationskonzepten erfordern eine kontinuierliche Anpassung der fachlichen Kompetenzen. Dies geht einher mit sich verändernden Arbeitsbedingungen und Arbeitsorganisationen, die ebenfalls zu veränderten beruflichen Qualifikationsanforderungen beitragen.

Die Digitalisierung bietet dabei auch die Chance die belastenden Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe (körperliche und psychische Belastungen, Zunahme von Stress und Arbeitsdruck) zu verbessern.

Referenzen

[1] European Commission (2021), The 2021 Ageing Report: Economic & Budgetary Projections for the EU-Member States (2019-2070). The Ageing Working Group (AWG) and the Social Protection Committee (SPC). Institutional Paper 148, May 2021, Brussels.

[2] Eurostat https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Healthcare_personnel_statistics_-_physicians, zuletzt abgerufen am 01.06.2022.

[3] Lehmann Y., Beutner K., Karge K., Ayerle G., Heinrich S., Behrens J., Landenberger M., (2014), Bestandsaufnahme der Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen im europäischen Vergleich, Band 15 der Reihe Berufsbildungsforschung, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Bonn.

[4] BASYS (2022), Health workforce demand and supply across the European Union, Summary report, Augsburg May 2022.


Autoren
Markus Schneider, Uwe Hofmann

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