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Arzneimittelausgaben für psychische Erkrankungen sinken

Declining pharmaceutical expenditure for mental illness

Die Krankheitskostenrechnung 2015 – 2020 legt große Verschiebungen im Krankheits- und Leistungsgeschehen für Deutschland offen. Krebs und Demenz beherrschen die Gesundheitsausgabenentwicklung. Dabei zeigt sich ein wichtiger Unterschied in der Rolle der Medikamente und im Leistungsbedarf. Denn Arzneimittelausgaben für psychische Erkrankungen sinken. The 2015 – 2020 cost-of-illness accounts reveal major shifts in disease and health services in Germany. Cancer and dementia dominate the development of health expenditure. Thereby, an important difference in the role of pharmaceuticals and in the need for health services becomes apparent. Pharmaceutical spending for mental illness is decreasing.

Hohe Dynamik psychischer Krankheiten

Psychische Erkrankungen sind nach Krebs der zweitgrößte Ausgabentreiber im deutschen Gesundheitswesen [1]. 13,6 Mrd. € und damit rund 15 % des gesamten Wachstums der Gesundheitsausgaben von 2015 – 2020 gehen zu Lasten der ICD10-Gruppe F00-F99 Psychische und Verhaltensstörungen.

Alzheimer und Demenz

Die Ausgabendynamik ergibt sich vor allem aus der Zunahme der Organischen und symptomatischen psychischen Erkrankungen (F00-F09) (vgl. Abb. 1), darunter vor allem der F00-F03/G30 Alzheimer-Demenz, die allein einen Kostenzuwachs von 5,3 Mrd. € verursacht. Alzheimer-Demenz ist die häufigste Demenzerkrankung. Ihre Zunahme ist ursächlich für den gestiegenen Bedarf an ambulanten und stationären Pflegeleistungen.

Mit der Erhöhung der Lebenserwartung nimmt das Risiko der psychischen Erkrankungen zu. Häufigste Ursache der Demenz ist die Krankheit, eine progressive neurodegenerative Krankheit mit irreversiblem Verlust an Nervenzellen. Nach Berechnungen der Alzheimer Gesellschaft e.V. sind im Jahr 2021 in Deutschland etwa 440.000 Menschen im Alter 65+ neu an einer Demenz erkrankt.[2]

Die geschätzte Prävalenz liegt bei über 90-jährigen etwa 20-mal so hoch wie bei der Altersgruppe der 65-69-Jährigen. Infolge des demographischen Wandels wird deshalb mit einer stark ansteigenden Zahl der Demenzerkrankten gerechnet.[2]

Abb. 1: Ausgabenzunahme psychischer Erkrankungen, in Mrd. €

Sonstige psychische Störungen

Affektive Störungen (F30-F39) schlagen mit rund 2 Mrd. € Ausgabenanstieg zu Buche. Die Zunahme an Depressionen (F32-F34) ist hierfür hauptsächlich verantwortlich. Mit ebenfalls 2 Mrd. € stiegen die Ausgaben für die Gruppe F70-F99, welche Intelligenzstörungen (F70-F79), Entwicklungsstörungen (F80-89) und Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F90-F99) zusammenfasst.

Bei der Krankheitsgruppe F70-F99 ist vor allem das männliche Geschlecht betroffen, während Depressionen und Demenz Frauen stärker treffen.

Arzneimittel kein Ausgabentreiber

Die Relation von Kosten und Nutzen der Arzneimittel für psychische Erkrankungen wird wegen Nebenwirkungen und mangelnder Wirksamkeit kontrovers diskutiert. Interessanterweise spielen beim Ausgabenwachstum Arzneimittel für psychische Erkrankungen im Zeitraum 2015 – 2020 keine Rolle. Im Gegenteil, es ergibt sich sogar eine Ausgabenverringerung von 0,4 Mrd. € (vgl. Abb. 2). Wie ist das möglich, wo doch nach Arzneimittelverordnungs-Report (AVR) bei einzelnen psychischen Erkrankungen immer mehr Medikamente verordnet werden?

Spezifische Medikamente für psychische Erkrankungen sind vor allem Psychopharmaka (Antidepressiva, Neuroleptika, Tranquillantien und Psychostimulanzien) und Antidementiva. Für die Gruppe der Psychopharmaka weist der AVR für das Jahr 2019 über 2 Mrd. Tagesdosen (DDD) aus. Das sind rund 9 % mehr als noch für das Jahr 2015. Demgegenüber ist die Verordnung von Antidementiva allerdings rückläufig [3].

Zur rückläufigen Ausgabenentwicklung haben aber vor allem Preissenkungen durch Rabattregelungen beigetragen. Im Jahr 2020 wurden nach der KKR für Psychopharmaka und Antidementiva 2,3 Mrd. €, d. h. 0,4 Mrd. weniger als noch 2015, aufgewendet.

Abb. 1: Ausgabenzunahme psychischer Erkrankungen nach Einrichtungen, in Mrd. €

Strukturelle Änderungen erforderlich

Im Jahr 2020 erreichten die Ausgaben für psychische Erkrankungen mit 56,4 Mrd. € das Ausgabenniveau der Herzkreislauferkrankungen (56,7 Mrd. €), welche über Jahrzehnte die Ausgaben dominierten. Psychische Erkrankungen, Herzkreislauferkrankungen, aber auch der dritte große Krankheitsbereich – Krebserkrankungen – erfordern sehr spezifische Leistungsangebote. Weitere strukturelle Änderungen des Leistungsangebots sind in Erwartung der steigenden Demenzzahlen angesagt.

Für psychische Erkrankungen wurden im Jahr 2020 allein 16,2 Mrd. € für die stationäre und teilstationäre Pflege aufgewendet. Auf die ambulante Pflege fielen 5,8 Mrd. € ohne häusliche Pflege. Arztpraxen erhielten 8,4 Mrd. € und Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken 12,4 Mrd. €. Viele der psychischen Krankheiten können heute in ihrem Verlauf gemildert oder geheilt werden. Die Krankheitszeiten sind allerdings im Durchschnitt oftmals länger als bei den somatischen Erkrankungen [4].

Indirekte Kosten

Ein beträchtlicher Teil der Kosten psychischer Erkrankungen fällt auf indirekte Kosten. So zählen psychische Belastungen und Störungen zu den häufigsten Ursachen krankheitsbedingter Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Der Anteil der Frührenten aufgrund von psychischen Störungen liegt mit 42,8 % im Jahr 2021 weit vor anderen Erkrankungen (Skelett-Muskel-Bindegewebe 11,5 % und Neubildungen 14,7 %) [5]. Im Fall der Alzheimer-Demenz treten die indirekten Kosten vor allem in Form der informellen Pflegekosten durch Angehörige auf. Nach der GERAS-Studie sind die informellen Pflegekosten bei Alzheimer der dominierende Kostenfaktor [6]. Bedauerlicherweise hat das Statistische Bundesamt die Berechnung der indirekten Kosten eingestellt [7].

Ausblick

Auch wenn die Berechnungen hinsichtlich der indirekten Kosten unvollständig sind, stellt die Krankheitskostenrechnung des Statistischen Bundesamtes ein wichtiges Analyseinstrument für die strukturelle Ausgabenentwicklung dar. Die tiefergehende Aufschlüsselung in Arznei-, Heil- und Hilfsmittelausgaben sowie für medizinische und pflegerische Leistungen nach Krankheitsbildern ermöglicht neue Einblicke in die Dynamik des Leistungsgeschehens und der Innovationen. Für die psychischen Erkrankungen wäre vermutlich eine andere Dynamik der Arzneimittelausgaben zu erwarten, wenn es zu signifikanten Innovationen in der Behandlung der Demenz käme.

Referenzen

[1] Statistisches Bundesamt (2022), Krankheitskosten, Genesis-online.

[2] Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. (2022), Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen, Informationsblatt 1, August, https://www.deutsche-alzheimer.de.

[3] Schwabe U. (2020). Antidementiva. In: Schwabe, U., Ludwig, WD. (eds) Arzneiverordnungs-Report 2020. Springer, doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_11.

[4] Meyer M., Wing L., Schenkel A. (2022), Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr 2021, 287-368, in: Badura B. et al. Hrsg. Fehlzeiten-Report 2022, Springer.

[5] Deutsche Rentenversicherung Bund (2022), Rentenversicherung in Zahlen, Berlin: Oktober.

[6] Boess F.G. et al. (2016), Kosten der Alzheimer-Erkrankung in Deutschland – aktuelle Ergebnisse der GERAS-Beobachtungsstudie, Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2016; 21(05): 232-241, DOI: 10.1055/s-0042-100956

[7] Persönliche Kommunikation.


Autoren
Thomas Krauss, Markus Schneider

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