Health workforce across European Countries
manifesto for a european health union

Lebenserwartung in Deutschland – Neue Herausforderungen

Life expectancy in Germany – new challenges

Die Lebenserwartung in Deutschland ist seit Jahrzehnten stark angestiegen. In den neuen Ländern hat sie sich seit der Wiedervereinigung bereits teilweise an den Westen angeglichen, teilweise sie bereits übertroffen. Regionale Unterschiede, besonders bei den Männern, bestehen dennoch weiterhin und stellen eine Herausforderung an das Sozialsystem und das Gesundheitswesen Deutschlands und der Länder dar. In Germany, since decades life expectancy (LE) has increased. In the German new “Laender”, LE partly converged to the Western level since the reunification, partly surpassed it. However, regional differences still exist, particularly for men. These inequities are challenging the German social systems and the health care system as well as those of the “Laender”.

Männer leben acht Jahre länger

In den letzten 30 Jahren stieg die Lebenserwartung bei Geburt (LE) in Deutschland um über acht Jahre bei Männern und fast sieben Jahre bei Frauen. Ein Anstieg in dieser Größenordnung war auch in den meisten anderen westeuropäischen Ländern zu verzeichnen. Weit überdurchschnittlich war jedoch die Zunahme der LE in vielen Regionen der neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung. Der Rückstand gegenüber dem Westen konnte damit vielfach ausgeglichen werden. In Teilen Ostdeutschlands hat die Lebenserwartung heute bereits diejenige von Westregionen übertroffen.

Am schnellsten reagiert hat die LE der Frauen auf die neuen Lebensverhältnisse; die LE der Männer unterscheidet sich im Durchschnitt im Ost-West-Vergleich noch um etwa ein Jahr.

Regionaler Wohlstandsindikator

Zur summarischen Darstellung der Sterblichkeitseinflüsse auf eine Bevölkerung wird häufig die Lebenserwartung bei Geburt verwendet. Zur Einschätzung regionaler Unterschiede der Entwicklung empfahl 2001 das britische Gesundheitsministerium den Vergleich der LE in den verschiedenen Teilen des Vereinigten Königreichs, da dies der beste einzelne Indikator zur Beschreibung von Ungleichheiten sei [1]. Es schloss mit dieser Empfehlung an eine außerordentlich lange Tradition der Gesundheits- und Sozialstatistik im Vereinigten Königreich an [2].

In Deutschland war der regionale Vergleich nach der Wiedervereinigung stark auf den West-Ost-Vergleich fokussiert. Z.B. wies Dinkel [3] bereits 2003 darauf hin, dass sich die relative Übersterblichkeit in der ehemaligen DDR außerordentlich schnell abgebaut hat. Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der regionalen Gesundheitssatellitenkonten hat BASYS den weiteren Verlauf zentraler Gesundheitsindikatoren und die regionalen Unterschiedlichkeiten in Deutschland näher betrachtet.

Daten

Untersucht wurde der Verlauf der LE anhand der INKAR-Daten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), die für die Landkreise und kreisfreien Städte sowie übergeordnete Gebietskörperschaften Zahlen zur LE seit 1994 ausweisen. Das BBSR greift hierbei auf die amtliche Statistik zurück; die Angaben zur LE beziehen sich also jeweils auf einen Dreijahreszeitraum, so dass zufällige Schwankungen ausgeglichen werden.

Der derzeit letzte Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 2008 bis 2010. Bei den Abbildungen wird das mittlere Jahr dieses Bezugszeitraums zur Datierung verwendet. Ergänzende Informationen wurden aus den amtlichen Statistiken Schwedens, der Schweiz und Deutschlands entnommen [4], [5], [6].

Dynamischer Verlauf

Eine genauere Analyse des Verlaufs und seiner Dynamik zeigt, dass die LE in Deutschland in den letzten Jahren schneller gestiegen ist als beispielsweise in der Schweiz oder in Schweden. Dies gilt auch für die alten Länder im Zeitraum vor der Wende, ist also nicht nur die Folge eines Nachholeffekts bei den neuen Ländern.

Am günstigsten sind die Werte derzeit in Baden-Württemberg, wo die LE sowohl von Frauen als auch von Männern höher ist als in Schweden, das lange Zeit als vorbildhaft galt. Auch die LE von Frauen in Sachsen liegt etwa gleich hoch wie in Schweden. Weiterhin unerreicht bleiben freilich die Werte der Schweiz (Abb. 1).

Abb. 1: Lebenserwartung bei Geburt: Schweiz, Schweden, Baden-Württemberg, Sachsen, 1981 – 2011

Lebenserwartung bei Geburt: Schweiz, Schweden, Baden-Württemberg, Sachsen, 1981 – 2011

Anfänglich hoher Nachholbedarf

Hervorgehoben werden sollte, dass die Zunahme der LE im Zeitraum von 1994 bis 2009 insbesondere in den neuen Bundesländern mit großem Nachholbedarf (z. B. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg) am höchsten gewesen ist und eine 5-Jahres-Zunahme von anfänglich über drei Jahren bei den Männern aufgewiesen hat. Die entsprechenden Vergleichswerte der 5-Jahres-Zunahme für Länder mit einer stabil hohen LE wie Schweden (1,1 Jahre bei den Männern, 0,7 Jahre bei den Frauen) und der Schweiz (1,3 Jahre bzw. 0,9 Jahre) wurden also deutlich übertroffen, ebenso die aller alten Bundesländer.

Was sind die Ursachen?

Die unmittelbar nach der Wende vorliegende Ungleichheit der Lebensbedingungen hinsichtlich der LE konnte sehr deutlich reduziert werden und sank bei den Männern von 3,2 Jahren auf 1,4 Jahre, bei den Frauen von 2,3 Jahren auf 0,3 Jahre. Nach Ansicht von Dinkel [3] ist dies durch den Einsatz verbesserter medizinischer Technologie im allerweitesten Sinn, also auch unter Einschluss modernerer Arzneimittel zu erklären, weil diese nach der Wende sofort verfügbar gewesen sind.

Sinkende Herz-Kreislaufsterblichkeit

Eine Analyse von Weiland et al. [7] zum Beitrag einzelner Todesursachen bei der Senkung der Mortalität zeigt, dass im Zeitraum von 1980 bis 2002 in erster Linie der Rückgang von Herzkreislaufkrankheiten zur Steigerung der LE geführt hat, und zwar bei beiden Geschlechtern fast zur Hälfte der gewonnenen LE. Entsprechend den unterschiedlichen Sterblichkeitsmustern steht hierbei der Mortalitätsrückgang ischämischer Herzkrankheiten bei den Männern im Vordergrund, bei den Frauen der Mortalitätsrückgang zerebrovaskulärer Krankheiten.

Die LE bleibt trotz dieser Verknüpfung von Todesursachenstatistik und Sterbetafelstatistik ein reiner „Ergebnisindikator“. Er fasst ein sehr breites Spektrum an Einflüssen aus den verschiedensten Lebensumständen auf die Sterblichkeit zusammen. Zwangsläufigerweise ungenau bleibt deshalb, welcher Beitrag auf Prävention, etwa die Aufgabe des Rauchens, entfällt und welcher Beitrag durch verbesserte medizinische Maßnahmen oder Änderungen des Lebensstandards erzielt wurde. Nach Auffassung von Weiland und seinen Mitautoren besteht aber auf allen Wirkpfaden noch die Möglichkeit zu weiteren Verbesserungen, so dass auch mit einer weiteren Steigerung der LE gerechnet werden kann.

Fazit

Im Gegensatz zur Situation des Jahres 1994 sind Gebiete mit etwas niedrigerer LE im Jahr 2009 nicht mehr hauptsächlich auf die neuen Länder konzentriert (Abb. 2 und 3). Sie finden sich mit Ausnahme Baden-Württembergs (bei beiden Geschlechtern) und Sachsens (bei den Frauen) im gesamten Bundesgebiet.

Abb. 2: Lebenserwartung bei Geburt nach Raumordnungsregionen, weiblich, 1994 und 2009

Lebenserwartung bei Geburt nach Raumordnungsregionen, weiblich, 1994 und 2009

Abb. 3: Lebenserwartung bei Geburt nach Raumordnungsregionen, männlich, 1994 und 2009

Lebenserwartung bei Geburt nach Raumordnungsregionen, männlich, 1994 und 2009

Betrachtet man die regionale Ungleichheit im gesamten Bundesgebiet, kann man seit 1994 einen sehr deutlichen Rückgang feststellen. Eine fortlaufende Beobachtung ist jedoch wichtig, weil insbesondere bei der LE der Männer seit einigen Jahren Tendenzen zu leicht steigender regionaler Ungleichheit sichtbar werden. Dass Sachsen und Baden-Württemberg sowohl die homogensten Länder als auch die Länder mit der höchsten LE bei den Frauen sind, verweist auf die Hypothese von Vaupel [8], wonach Länder mit besonders hoher LE immer auch Länder mit regional homogener Mortalitätsstruktur, d. h. geringer innerer Ungleichheit, sind.

Referenz

[1] Department of Health, NHS Plan, Technical Supplement on Target Setting for Health Improvement, March 2001, London.

[2] Eyler JM, Constructing vital statistics: Thomas Rowe Edmonds and William Farr, 1835–1845, Soz.- Präventivmed. 47 (2002) 006–013.

[3] Dinkel RH Die Sterblichkeitsunterschiede zwischen dem östlichen und westlichen Teil Deutschlands seit der Wende: Die Lehren aus einigen überraschenden Entwicklungen. Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät. 2003;62(6):65-87.

[4] Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Lebenserwartung und Mortalität – Lebenserwartung. Abruf am 15.2.2013.

[5] Statistics Sweden, Population statistics. Life expectancy 1752-2011. Abruf am 15.2.2013.

[6] Statistisches Bundesamt. Periodensterbetafeln für Deutschland 1871/81 – 2008/10. Abruf am 15.2.2013.

[7] Weiland SK, Rapp K, Klenk J et al, Zunahme der Lebenserwartung. Größenordnung, Determinanten und Perspektiven. Dtsch Arztebl 103: (2006) A1072–A1077.

[8] Vaupel JW, Zhang Z, van Raalte AA, Life expectancy and disparity: an international comparison of life table data. BMJ Open 2011;1:e000128. doi:10.1136/bmjopen-2011-000128.


Autoren
Josef Georg Brecht, Markus Schneider

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